Pichler, August (1771-1856)

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Theaterdirektor August Pichler vor dem Hoftheater
Bild: Lippische Landesbibliothek, GA B 290

August Pichler (* 22. Juni 1771 in Hernals bei Wien; † 4. Januar 1856) war Schauspieler, Regisseur und Direktor des Fürstlichen Hoftheaters in Detmold.

GND http://d-nb.info/gnd/1034924400 (dort: † 1857)
Andere Namen
Geburtsdatum 22.6.1771
Geburtsort Hernals bei Wien
Sterbedatum 4.1.1856
Sterbeort Berlin
Bekannt als (Tätigkeitsfeld) Schauspieler, Theaterdirektor
Lippe-Bezug
Beziehung zu Personen
Beziehung zu Institutionen
Wikipedia Kein Eintrag

Leben

Autor: Alfred Bergmann

Jugend und schauspielerische Anfänge

August Pichler entstammte einer wohlhabenden österreichischen Familie. Am 22. Juni 1771 wurde er in Hernals bei Wien geboren, wo sein Vater Tuchfabrikant war. Im Jahr 1781 zogen die Eltern nach Ungann (?). Da die Mutter ihren Sohn zu einem Geistlichen zu erziehen gedachte, gab sie den Zehnjährigen nach Wien in das Jesuitenkollegium, damit er dort bei seinem Onkel den höheren Schulunterricht genieße. Da Pichler aber keine Neigung für den geistlichen Stand hatte, erlernte er in seinem vierzehnten Jahr die Buchdruckerkunst.

Während seiner Lehrzeit verwandte Pichler den größten Teil seines Taschengeldes auf das Theater, welches er besuchte, so oft es seine Zeit erlaubte. Durch seinen Onkel war er in das Gräflich Althahnsche Haus eingeführt worden. Die Gräfin hielt ein Haustheater. Bei einer Aufführung von Kotzebues „Menschenmaß und Reue“ übernahm Pichler die Rolle des Peter, und erhielt so außerordentlichem Beifall, dass nicht nur Kotzebue, der den Ritter gespielt hatte, sondern auch die Gräfin selbst ihn dazu ermunterte, sich dem Schauspielstand zu widmen.

Nach überstandenen Lehrjahren wanderte Pichler, von den Seinigen reichlich ausgestattet, nach Prag. Obschon er dort als Schriftsetzer Beschäftigung fand, blieb seine Liebe zum Theater noch immer dieselbe. Im beglückenden Umgange mit einigen Schauspielern wurde die Lust zur Bühne zu gehen immer heftiger. In seinem zwanzigsten Jahr übernahm Pichler ein Engagement bei dem Theater in Reichenberg, dem eine Madame Zacheo als Direktrice vorstand. Von frühester Zeit an in Wien musikalisch gebildet, dazu im Besitz einer guten und sonoren Baritonstimme, wurde Pichler sehr bald ein Liebling des Publikums. Jedoch litt ihn der Wunsch, bei einer größeren Bühne einen Platz zu gewinnen, bei dieser Gesellschaft nur ein halbes Jahr. Er reiste nach Dresden, wo er sich eine Zeit lang aufhielt und Gelegenheit fand, die meisterhaften Leistungen der bedeutendsten Künstler jener Zeit (Christ, Bösenberg, Opitz, Ochsenheimer, Thöring und Schirmer) besser kennen zu lernen. Nachdem Pichler Dresden verlassen hatte, reiste er vier Monate lang umher, ohne bei einer soliden Bühne anzukommen. Durch materielle Not war er gezwungen, ein Engagement bei einem Dorfkomödianten in Neuhaus an der Österreichischen Grenze anzunehmen. Der Direktor der Gesellschaft, Müller mit Namen, kündigte seine Vorstellungen mit der großen Trommel an, das Gesicht grell geschminkt und mit einem falschen Bart, bekleidet mit der Jacke des Hanswurst. Hier fand Pichler Gelegenheit, sich in extemporierten Komödien und Possen Routine zu erwerben. Er blieb acht Wochen.

Anschließend ging er nach Brünn und von dort nach Znaim. Dort fand er sein erstes festes Engagement. Ödenburg und Leipzig, Triest und Wien, Prag und Karlsbad sind die weiteren Stationen seiner künstlerischen Laufbahn.

1799-1825 Von Bayern nach Westfalen

1799 versuchte er zum ersten Male, und zwar in Bayreuth, die Leitung einer Bühne zu übernehmen. Der Erfolg entsprach seinen Hoffnungen nicht. So übernahm er die Leitung der Kanzlei-Buchdruckerei in Bayreuth und kehrte damit zu seinem Ausbildungsberuf zurück. Am 22. Juni 1801 (seinem Geburtstag), heiratete er mit Sophie Halbmann, die Tochter eines Beamten.

Nach etwa drei Jahren gab er die Druckerei wieder auf und ging von neuem zum Theater. Er wurde Mitglied der Aschenbrennerschen Gesellschaft in Passau, welche vornehmlich die Schweiz bespielte, und blieb bei ihr bis zu ihrer Auflösung, die schon wenig später in Luzern erfolgte. Von da kam Pichler nach Bamberg zur Gesellschaft des Grafen Julius von Soden. Sein Fleiß und sein unerschütterliches Gefühl für Rechtlichkeit blieben dem neuen Direktor nicht lange unbekannt. Binnen kurzer Zeit hatte Pichler das Vertrauen des Grafen erworben, der ihm die Leitung des ökonomischen Geschäftes übertrug. Aber auch diese Gesellschaft wurde, durch die ihr entgegentretenden Hindernisse, zur Auflösung gezwungen.

Pichler verließ Bamberg und folgte, nach einer Anstellung in Karlsruhe, einem Ruf nach Kassel, wo er sich als Komiker sehr beliebt machte. Sehr bald nach seiner Anstellung wurde jedoch auf Veranlassung der damaligen Königin von Westfalen die deutsche Schauspielergesellschaft entlassen, und damit fand auch Pichlers Tätigkeit als Darsteller ihr Ende. Nach kurzem Aufenthalt in Bremen wandte er sich nach Oldenburg, um dort wieder eine eigene Gesellschaft zu gründen. Zwei Jahre lang hat er das dortige Theater geführt. Dann wurde er von den französischen Behörden nach Bremen berufen, um dort Vorstellungen zu geben. Die aufkommenden Kriegsunruhen verhinderten jedoch das vollständige Gedeihen dieser Unternehmung, die ihrem Leiter manch bittere Erfahrung einbrachte.

Nach dem endgültigen Sieg der Verbündeten über Napoleon kam Pichler auf Veranlassung des Herzogs von Cambridge 1814 nach Hannover. Er erhielt vom König von England einen jährlichen Zuschuss von 8.000 Talern und begründete das Hoftheater der Residenzstadt. Unterstützt von seiner Gesellschaft, der er tüchtige Mitglieder zuzuführen wusste, und seinem Regisseur, dem Theaterdichter und nachmaligen Hofburgdirektor Franz von Holbein, bot er dem Publikum bedeutende Leistungen und trug dadurch wesentlich dazu bei, das Hannöversche Bühnenwesen zu regenerieren, das sich in völligem Verfall befunden hatte.

Fünf Jahre lang leitete Pichler das hannöversche Theater, zur Zufriedenheit sowohl des Hofes wie des Publikums; dann war ihm diese Stellung durch das Verwaltungs-Komitee verleidet, dessen fortwährende Einmischung auf den Geschäftsgang störend eingewirkt hatte. Er zog es vor, ein unabhängiger Privat-Unternehmer zu werden, und besuchte fortan mit einer größtenteils neuen Gesellschaft die Städte Münster, Osnabrück und Pyrmont, wo er auf eigene Kosten ein Schauspielhaus erbauen ließ. Der Ruf eines strengrechtlichen Mannes und Direktors, dem das Wohl seiner Mitglieder mehr als das seine am Herzen liege, ging ihm in die neue Wirksamkeit voraus und ebnete ihm manche Wege.

Im Jahr 1820 wurde Pichler von mehreren Kunstfreunden in Bremen aufgefordert, auch dort jährlich mehrere Monate zu spielen. Das veranlasste ihn, seine Gesellschaft zu teilen. Da aber in Bremen der Besuch des Theaters bald wieder nachließ, so vereinigte Pichler 1824 wieder seine beiden Gesellschaften und blieb in Westfalen, daselbst immer mehr Städte in den Kreis seiner Tätigkeit einbeziehend. Um das vernachlässigte Schauspiel stärker pflegen zu können, bediente er sich der Hilfe hervorragender Schauspieler. Seit seinem ersten Erscheinen in Westfalen waren nunmehr sieben Jahre vergangen. Das Ergebnis seiner Bemühungen und seines Ringens mit Hindernissen verschiedenster Art war dies, dass die Provinz nunmehr eine Bühne besaß, die es versuchte, den billigen Ansprüchen auch der Gebildeten nach Kräften gerecht zu werden. Diesem unbestreitbaren künstlerischen Verdienste stand freilich der drohende finanzielle Zusammenbruch gegenüber. Denn der äußere Erfolg kam nicht überall den Erwartungen gleich. Während er in Münster und Osnabrück groß war, blieb in Pyrmont das Theater zumeist leer, selbst dann, wenn Berühmtheiten wie Ludwig Devrient oder Ferdinand Eßlair als Gäste auftraten. Ganz auf sich gestellt, gelang es Pichler nur dadurch, sich vor den immer wachsenden Ansprüchen des Publikums zu behaupten, dass er aus seinem nicht unbeträchtlichen Privatvermögen ein bedeutendes Kapital zusetzte. Nun aber war es so weit, dass er, wenn das Ministerium auch weiter keine Rücksicht auf ihn nahm, nur die Wahl hatte, zu Grunde zu gehen oder seine Konzession aufzugeben.

1825-1848 Detmolder Hoftheater

In dieser kritischen Lage kam Hilfe von Detmold. Der Wunsch des jungen Fürsten nach einem eigenen Theater begegnete sich mit dem Bedürfnis des schwerringenden Direktors nach finanzieller Unterstützung. Voraussetzung für diesen Bund war freilich, dass das alte, längst baufällig gewordene und nur immer wieder notdürftig zusammengeflickte Komödienhaus durch einen, den Forderungen der Zeit genügenden, Neubau ersetzt werde. Dieser Neubau des Detmolder Theaters kam zustande. Nach den Plänen des Oberbaurats von Natorp wurde er in kaum sieben Monaten vollendet. Er zeichnete sich durch die Zweckmäßigkeit seiner Einrichtungen und seine gute Akustik aus. Als Albert Lortzing 1826 nach Detmold gekommen war, bezeichnete er ihn als „sehr niedlich“ und rühmte die Menge der Versenkungen und die viele Maschinerie.

Am 8. November 1825 fand die festliche Eröffnungsvorstellung statt mit Mozarts Titus. Bei der Prager Uraufführung war die Oper durchgefallen; in Detmold war der Anklang groß, was für die Leistungsfähigkeit der neuen Hoftheatergesellschaft spricht. Kapellmeister Hoffmann, der aus Frankfurt am Main kam, hatte die musikalische Leitung. Seine Frau sang die Servilia, Madame Braunhofer die Vitellia, Hr. Strabe den Titus, Herr Spengler den Sextus. Diese wohlgelungene Festaufführung weckte große Hoffnungen, und sie wurden nicht enttäuscht. Pichler erwies sich als ein Direktor, der es verstand, durch die Verpflichtung tüchtiger Kräfte und die Mannigfaltigkeit des Spielplans sich in der dauernden Gust der Detmolder Theaterbesucher zu erhalten. Am 29. Januar 1826 ging die erste Spielzeit im neuen Schauspielhaus zu Ende. Wieder hatte man eine Oper Mozarts dafür bestimmt; diesmal die „Zauberflöte“. Am Abend zuvor hatte der Fürst, wie wir einem zeitgenössischen Bericht entnehmen, „zum Beweise höchst Ihrer Zufriedenheit mit huldreicher Munifizenz der ganzen Gesellschaft ein Fest bereitet, das mit einem frohen Mahle unter dem Vorsitze der ersten Hofkavaliere“ begangen wurde. Nach Münster verpflichtet, reiste Pichler mit seiner Truppe am 30. Januar dorthin ab. Voller Begeisterung schließt der Theaterreferent des Rheinisch-Westphälischen Anzeigers seinen Bericht mit den Worten:

„Herr Pichler nimmt von uns die allgemeine Anerkennung seiner Verdienste als umsichtiger und edeldenkender Schauspielunternehmer mit, dem es nur um die Ehre und den Ruhm selbst zu tun ist.

Das Programm des Detmolder Theaters unter Pichler

Überblickt man den Spielplan des Detmolder Theaters in der Zeit vom 15. Juni 1825 bis zum 1. Mai 1831, soweit er sich aus den (freilich nicht völlig zuverlässigen) „Lippischen Intelligenzblättern“ aufstellen lässt, so ergibt sich zunächst hinsichtlich des Verhältnisses der musikalischen Gattungen zu den nicht-musikalischen das folgende Bild:

Gegeben wurden an insgesamt 239 Abenden 349 Stücke. Davon waren 158 Opern der verschiedensten Art, große und heroische, lyrische und romantische, heroisch-romantische und heroisch-komische, Feen-Opern und Zauber-Opern und schließlich romantisch-komische Zauberopern. Dazu kommen sechzehn Stücke, die zur Gattung der Operette zu rechnen sind, darunter vierzehn Vaudevilles, eine Operette und ein komisches Singspiel, und zehn andere Aufführungen mit Musik (eine Liederpose, drei melodramatische Aufführungen, drei Quodlibets, ein Divertissement und zwei Schauspiele mit Gesang).

Diesen 184 musikalischen Werken stehen nur 164 des gesprochenen Wortes gegenüber, woraus sich die unbedingte Vorherrschaft der Oper und des Singspiels im Spielplan dieser Jahre ergibt. Im Schauspiel wiederum herrscht dem Geschmack des Hofes entsprechend die heitere Muse. Denn von den 164 Schauspielen sind 98 Lustspiele und neunzehn Possen, und nur achtundzwanzig Schauspiele und nur sechs Tragödien (darunter Grabbes Don Juan und Faust mit einer Aufführung). Die übrigbleibenden dreizehn Stücke verteilen sich auf die Gattungen des militärischen, des romantischen, des vaterländischen oder des großen Ritterschauspiels, des idyllischen oder dramatischen Gedichts, der dramatischen Skizze oder Aufgabe, der ländlichen Szenen und des Familien-Gemäldes.

Schon aus dem Umstand, dass sich unter den Komponisten nur verhältnismäßig wenige Persönlichkeiten finden, deren Geltung auf ihre Zeit beschränkt war, erhellt das hohe Niveau, welches Pichler auf musikalischem Gebiet wahrte. Auch ist der Aufführungsziffer solcher Werke, der Kapellmeister Kauer oder Müller, der Folravant, Breitenstein oder Onslow immer sehr niedrig und niemals höher als drei. Dafür dominieren die Großen im Reiche der Oper: an der Spitze Rossini mit 22 Aufführungen, nach ihm Carl Maria von Weber und Auber mit je 15, Mozart mit 14, Boieldieu mit 12. In einigem Abstande folgt, wieder ein Ausländer, Méhul mit acht Aufführungen, hinter ihm Winter mit sieben, Paer mit sechs, Spohr und Cherubini mit je vier.

Ganz anders liegen die Verhältnisse auf dem Gebiet des Schauspiels, was sich schon aus der Vorherrschaft der heiteren Gattung schließen lässt. Hier treten die Klassiker völlig zurück, dies gilt in gleicher Weise von den deutschen und denen fremder Zunge. Goethe und Schiller sind jeder nur zweimal aufgeführt worden, einmal mehr Lessing, aber auch nur zweimal Shakespeare, und nur je einmal Heinrich von Kleist, Grillparzer und Molière. Auch ein Pichler musste eben der Vorliebe Rechnung tragen, die sein Publikum für die Werke eines Kotzebue, eines Iffland und Louis Angely hegte, von denen darum jener mit 21, diese mit je 15 Aufführungen die von ihm am häufigsten gespielten Autoren sind. Selbst so fruchtbare und begehrte Schriftsteller wie Schröder und Lebrün (?), Töpfer, Theodor Hell und Raupach bleiben hinter diesen Zahlen um ein Beträchtliches zurück. Denn die beiden ersten sind nur achtmal gegeben worden, Töpfer siebenmal; bei Hell und Raupach beträgt die Zahl der Aufführungen je sechs. Im übrigen wird das sich ergebende Bild durch die Vielzahl der Autoren bestimmt, nicht duch die hohe Zahl der Aufführungen, die der Einzelne erreicht hätte. Nur Holtei und Beck haben es auf je vier gebracht, von den anderen selbst von so beliebten Werken wie das Lustspiel „Donna Diana“ von Moreto-West, das Schauspiel „Das Leben ein Traum“ von Calderon-West, oder so bewährte Bühnenschriftsteller, wie Friedrich Wilhelm Ziegler, Castelli, Kurländer, oder Johanna Franul von Weißenthurn – um nur einige zu nennen – auf nicht mehr als drei. Anders als bei der Oper spielt die Produktion des Auslandes hier nur eine geringe Rolle.

Die letzten Jahre

In den letzten Jahren von Pichlers Wirksamkeit als Theaterdirektor ist ein Rückgang nicht zu verkennen. Seine Kränklichkeit und andere Gründe trugen die Schuld daran. Das Detmolder Hoftheater ging seinem Ende entgegen. Dort, wie auch in Osnabrück und in Münster blieben die Ausgaben so weit hinter den Einnahmen zurück, dass sich die Staatskasse zu immer höheren Zuschüssen genötigt sah. So wurde 1848 das Theater aufgelöst.

Noch immer aber konnte sich der nun siebenundsiebzigjährige nicht von dem Dienst an der Kunst trennen, dem er sein Leben geweiht hatte. Er verwandelte sein Theater in ein Privatunternehmen, mit dem er durch Westfalen ziehen und in den Wintermonaten in Detmold zu spielen gedachte. Die Behörde ließ dem verdienten Manne jegliche Förderung zu Teil werden. Um ihn vor konkurrierenden Unternehmungen zu schützen, gewährte sie ihm die alleinige Konzession für Münster, Hamm, Bielefeld, Paderborn und Minden. Von Detmold wurde ihm en fester Zuschuss zugesichert. Dazu bewies ein ausgewähltes Programm, dass Pichler ungebrochenen Willens nach künstlerischen Zielen strebte. Die Ungunst der Zeit aber vereitelte alle Pläne, im Sturm der politischen Ereignisse konnte keine Theaterfreudigkeit im Bürgertum gedeihen. Als Pichler in diesem Jahr zum fünfundzwanzigsten Mal in der westfälischen Hauptstadt (Münster) die Bühne eröffnete, da endete dieser letzte Versuch, sich durchzusetzen, mit einer bitteren Niederlage, die ihn den ganzen Rest seines Vermögens kostete. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich endgültig von den Bühnengeschäften zurückzuziehen, die er schon vorher zu einem Teil seinem zweiten Sohn Anton überlassen hatte. Eine Pension, die ihm nach der Auflösung des Detmolder Hoftheaters in Anerkennung seiner Verdienste um das Institut auf Lebenszeit ausgesetzt worden war, schützte ihn vor der Not.

Mit „behäbiger Gemütlichkeit“, wie Düringer in seinem Nachruf sich ausdrückt, hielt er sich nun abwechselnd in Berlin, Bad Pyrmont, Osnabrück, Hannover und Mannheim auf und fand seine Freude darin, seine auswärts lebenden Kinder zu besuchen.

Am 22. Juni 1851 feierte Pichler in Osnabrück seinen achtzigsten Geburtstag und seine goldene Hochzeit. Bei dieser Gelegenheit ernannte ihn Pyrmont zum Ehrenbürger der Stadt.

Vier und ein halbes Jahr später, am 4. Januar 1856, ist Pichler in Berlin gestorben, wo er bei seinem Schwiegersohn, dem Kaufmann F. w. Dieckmann, zum Besuch war. „Zufrieden und glücklich im Glück seiner Kinder war sein Lebensende beneidenswert, weil kummerlos, ohne Sorge und Leid. Die Abnahme seiner Kräfte stellte sich nur nach und nach ein, und ohne eigentlich schmerzvolle Krankheit erfolgte seine Auflösung.“ Am 7. Januar wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof in Berlin beigesetzt. Seinen Grabhügel bezeichnete eine einfache Tafel mit seinem Namen und dem Spruche: „Das Gedächtnis des Gerechten bleibet im Segen.“

Außer seiner Witwe hinterließ Pichler drei Söhne, vier Töchter, vierzehn Enkel und zwei Urenkel. Von seinen Kindern widmeten sich sechs ebenfalls dem Theater

  • Wilhelmine (1805-1837), war Schauspielerin in Braunschweig, wo sie 1824 den Schauspieler, Sänger und Dramatiker Karl Berger heiratete. Sie starb schon 1837 in Bremen (bekannt als Minna Berger).
  • Amalie, ist Anfang der 1840er Jahre in Würzburg engagiert gewesen
  • Henriette (1819-)
  • Franz (1804-1873)
  • Anton (1812-1886)
  • Franz August (1817-1888)

Persönlichkeit

Düringer schreibt in seinem Nachruf:

„Das ganze Äußere dieses liebenswürdigen Greises war edel, bescheiden und einfach und ließ eher einen Geistlichen als einen Theaterangehörigen in ihm vermuten. Klein und schmächtig von Gestalt trug er stereotyp eine weiße Halsbinde ohne Schleife (im Nacken gebunden), eine schwarze Weste, Beinkleider und Überrock von feinem schwarzen Tuch, dazu das weiß-graue, gescheitelte Haupthaar hinter die Ohren gestrichen. Der Eindruck seines Wesens war ein sehr behaglicher; ein unverwechselbares Wohlwollen sprach uns aus dem Ton seiner Stimme, aus jedem seiner Worte an, verbunden mit einer gewissen Fröhlichkeit, dem Stempel seines selbst geschaffenen und verdienten Glückes. Es gibt Menschen, und namentlich ältere Menschen, welche, wenn sie den Einflüssen der Welt und des Geschäftslebens entrückt, stets zufrieden, heiter und glücklich erscheinen, geliebt und geehrt von ihrer Umgebung, von Kindern und Enkeln sozusagen auf Händen getragen; diese Menschen müssen sofort für sich einnehmen und uns die Überzeugung aufdrängen, daß das Bewußtsein erfüllter Pflichten, daß ein reines unbeflecktes Gewissen in ihrer Erscheinung, in ihrem ganzen Tun und Lassen sich widerspiegelt. Ein solcher Mensch war der Heimgegangene, den ich, bevor ich ihn persönlich kannte, achten und lieben gelernt aus den Erzählungen seiner mir bekannten Kinder, die mit hoher Verehrung und seltener kindlicher Liebe an ihrem Vater hingen, aus den Erzählungen achtenswerter Freunde, unter denen der verstorbene Albert Lortzing nicht der letzte war, der sich bei jeder Gelegenheit in des alten Pichlers Lob ergoß“.

Vom inneren Wesen Pichlers gibt Düringer die folgende Charakteristik:

Dies Frische seines Geistes und die Heiterkeit seiner Seele verließen ihn nicht bis zum letzten Augenblicke seines vielbewegten Lebens und kämpften in auffallender Weise mit dem hinwelkenden Körper. Seine seltene Gutmütigkeit und Uneigennützigkeit waren Ursache, daß trotz vieler glücklicher Unternehmungen und günstiger Zeitepochen Pichler kein reicher Mann geworden ist. Auf der anderen Seite machte ihn seine strenge Rechtlichkeit zum ängstlich vorsichtigen Ökonomen, und selbst in den drückendsten, ungünstigsten Zeiten war Pichler nie, wie so mancher seiner Kollegen, zu Arrangements oder gar zur Einstellung seiner Zahlungen genötigt, wohl aber stets bereit, hilfsbedürftigen Künstlern mit Rat und Tat beizustehen. Seine lebhafte, wahrhaft leidenschaftliche Liebe zur Kunst erhielt sein Interesse an allen Erscheinungen der Bühnenwelt wach, nachdem er längst der direkten Wirksamkeit entsagt, ließ ihn nicht ermüden, für junge Talente und deren Beförderung zu sorgen. Noch aus Pichlers letzter Lebenszeit waren Düringer Fälle bekannt geworden, wo durch seine Vermittelung, durch seinen Einfluss jungen Schauspielern ein geeigneter Weg gezeigt, eine Bahn geöffnet worden ist, welche sie ohne sein tätiges Bemühn schwerlich würden gefunden haben. So musste die Achtung und Anerkennung, die er sich in der Zeit seiner rastlosen Wirksamkeit in der Theaterwelt und in bürgerlichem Leben errang, ihn bis zu seinem Tode frisch und lebendig halten.

An dem Darsteller Pichler rühmen Kritiken und Augenzeuge eine seltene Naturwahrheit, tiefes Gemüt und jugendliche, frische Lebendigkeit, die sich bis in die letzte Zeit seiner schauspielerischen Tätigkeit erhalten habe. Der einstmals berühmte Tenor Bader, damals an der Berliner Staatsoper, erzählte in tiefer Ergriffenheit am offenen Sarg des Toten, wie er in seiner Jugend in seiner Vaterstadt Bamberg an den ihm unvergesslichen Darstellungen Pichlers sich erfreut habe. Als Komiker war er von der guten alten Schule, der mit seinem Humor das Publikum lachen und weinen machte.

Zu den nachmals bedeutenden Schauspielern, die der Truppe Pichlers angehört und durch ihn ihre erste Ausbildung erfahren haben, gehört auch Emil Devrient. Von diesem ist ein Brief bekannt, den er unterm 12. November 1835 aus Dresden an seinen ehemalingen Prinzipal und Lehrer gesandt hat. Darin heißt es:

Mein werter alter Freund! Glauben Sie, daß wenn auch Zeit und Entfernung sich lange zwischen uns gelegt hat, ich doch des Mannes nicht vergessen werde, der mir mit Wohlwollen im Anfang seiner Laufbahn entgegen kam, der mir Gelegenheit gab, die ersten gewagten Schritte in seiner Künstlerlaufbahn zu tun und dessen Zutrauen in meine Fähigkeiten mir so schnell eine ehrenwerte Stellung ind er Künstlerwelt verschaffte. Was ich jetzt auch Gutes zu leisten vermag oder welche Stufe mich ein rastloses Streben noch ersteigen läßt: ich bewahre das Gedächtnis des redlichen Mannes treu bei mir, der mein erster Führer auf der schlüpfrigen Bühne war. Es sind jetzt dreizehneinhalb Jahr, daß ich in Bremen bei Ihnen ankam (1822). Sie nahmen sich des unerfahrenen jungen Mannes an; empfangen Sie jetzt von dem gereiften Mann den herzlichsten Dank in Worten, wie ich ihn im Herzen stets für ihn trug. Ich wünsche jedem aufkeimenden Talente einen solchen Direktor, der wie Sie Talente aufzufinden, zu bilden und gegen Anmaßung roher Menschen in Schutz zu nehmen weiß. Sie sind auf diese Weise vielen ehrenwerten Künstlern, deren Namen jetzt einen guten Klang haben, zu Hilfe gekommen und finden gewiß darin eine schöne Befriedigung.

Literatur

  • Anonymus: Biographische Skizze. In: Wolffs Almanach der Freunde der Schauspielkunst. Jg. 7 (Berlin 1843), S. 151-160.
  • Allgemeines Theater-Lexikon, hg. von Herloßsohn, Marggraff u.a. Bd. 6 (Altenberg und Leipzig, 1846), S. 92.
  • Philipp Düringer: (Nekrolog) in: Deutscher Musenalmanach (1857), S. 151-161. [Davon Abschrift]
  • Hermann Müller: Das Königliche Hoftheater zu Hannover. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte. Hannover : Helwing, 1884; vor allem S. 128-154.
SW 1499 https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/urn/urn:nbn:de:hbz:6:1-231096
  • Ludwig Eisenbergs „Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert“ (Leipzig 1903), S. 767-768.
https://archive.org/details/ludwigeisenberg00eiseuoft/page/767/mode/1up
  • Albert Lortzing: Briefe …
  • Otto Freiherr von Meysenbug: Beiträge zur Geschichte musikalischen und theatralischen Lebens in Detmold. III. Die letzten Jahre im alten Komödienhause. .. LippMitt 5 (1907), S. 88-160.
  • Heinrich Stolz: Die Entwicklung der Bühnenverhältnisse Westfalens von 1700-1850. (Münster, Phil. Diss vom 15.5.1909), Münster 1909, insbes. S. 51-71.
  • Karl Heinrich Schmidt: Aus dem Theaterleben Detmolds. Die erste Saison im neuen Schauspeilhaus November 1825 bis Januar 1826. in: Vaterländische Blätter Nr 4 7. März 1929, S. 13-14.
  • Ders.: Aus Detmolds Theaterleben vor hundert Jahren. Die Spielzeit 1827/27. In: Vaterländische Blätter Nr. 10 22. August 1929, S. 37-38.
  • August Pichler (1771-1857) : Der Schöpfer des Detmolder Hoftheaters. - In: In: Menschen vom lippischen Boden : Lebensbilder / hg. von Max Staercke. - Detmold : Meyer, 1936. - S. 262-265.
https://digitale-sammlungen.llb-detmold.de/content/pageview/6432468


BHGRO (1990), S. 226-227; HBL (2002), S.284-285; NB 77/78, 27 525; Ulrich 2 (1997), S. 1424

Weblinks

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Quelle: Alfred Bergmann, "August Pichler". Typoskript im Nachlass, Slg 12 Nr. 888; redigiert.

13.12.2022 angelegt

Fußnoten