Schwalbennestorgel (Sankt Marien, Lemgo)
Die Nebenorgel in der evangelisch-lutherischen Kirche Sankt Marien in Lemgo wird heute Schwalbennestorgel nach ihrer Bauweise genannt. Früher war auch die Bezeichnung »Heldenorgel« üblich, da auf der Unterseite des Nestes Gedenktafeln für die Gefallenen angebracht sind.
GND | http://d-nb.info/gnd/7788609-4 |
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Andere Namen |
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Lippe-Bezug | |
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Geschichte
Am 6. Juni 1588 erhielt der Orgelbauer Georg Slegel aus Zwolle den Auftrag zur »Verfertigung der Neuen Orgell in unserer Neuenstetter Kirche«. Dem war eine Spendensammlung in der Lemgoer Bevölkerung vorausgegangen, nachdem die vorhandene Orgel durch Alter und mangelnde Pflege unbrauchbar geworden war. Slegel war in Lemgo schon bekannt, da er bereits im Frühjahr 1586 zum Stimmen der alten Orgel vor Ort gewesen war. Er fertigte eine Schwalbennestorgel mit klappbaren, bemalten Flügeltüren. Die Orgel konnte am 3. Dezember 1595 eingeweiht werden. Sie fand Platz an der östlichen Stirnwand des Nordschiffes, nach damaliger Annahm der optisch und akustisch richtige Standort, an dem auch die Vorgängerorgel gestanden haben wird[1]
Von Anfang an hatte die Orgel damit zu kämpfen, dass durch die Baufuge zwischen Turm und nördlichem Seitenschiff wiederholt Wasser eindrang. Graf Simon VI. empfahl zur Überarbeitung der Orgel den von ihm in Schloss Brake eingesetzten Hamburger Orgelbauer Fritz Scherer, der das Instrument zugleich modernisierte und seine Arbeit 1612 abschloss. Nach ihm wurde die Orgel auch »Schererorgel« genannt.
Neben weiteren ständigen Reparaturen (an der bauphysikalisch ungünstigen Position hatte sich ja nichts geändert) wurde die Orgel zweimal umgebaut; in den 1730/40er Jahren durch Christian Klausing, in den 1820er Jahren durch Johann Heinrich Brinkmann. 1855 wurde die Marienkirche wegen Baufälligkeit geschlossen; damit war auch die Nutzung der Orgel erstmal beendet. Als das Gebäude 1861 wieder für den Gottesdienst freigegeben wurde, verzichtete man auf die Nutzung der Orgel. In den 1880er Jahren wurde durch den Orgelbauer Ernst Klaßmeier eine neue Orgel in die Kirche eingebaut, an einem anderen Standort. Dafür wurden der alten Orgel bis auf die Prinzipalpfeifen die Pfeifen entnommen und eingeschmolzen.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Holz abgebeizt. 1933 richtete die Firma Klaßmeier, die gleichzeitig auch die Hauptorgel der Kirche renovierte, die Orgel wieder für den Spielbetrieb her im damals vermuteter historischer Rekonstruktion, auf der Grundlage eines Gutachtens von Christhard Mahrenholz.[2] Die Felder unterhalb des Nests, die ursprünglich mit Stifterwappen bemalt waren, wurden im Zuge der Instandsetzung 1933 mit den Namen von 93 im ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindegliedern beschrieben, daher in den Folgejahren die Bezeichnung »Heldenorgel«.
In den 1950er Jahren wurde der Orgelbauer Paul Ott mit einem Rückbau als historischer Rekonstruktion nach neuen Erkenntnissen beauftragt; erst am Anfang des 21. Jahrhunderts jedoch gelang eine durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen überzeugende Rekonstruktion der Schererorgel von 1612. Für das Projekt hatte sich der damalige Kirchenvorstand, darin namentlich Helmut Holländer eingesetzt.
Disposition
um 1595 | um 1680 | um 1820 | um 1935 |
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Orgell 1. Praestant 2. Ein Oktave 3. Ein Gedackt 4. Ein Quintatein 5. Ein Mixtur 6. Ein Cimbell 7. Ein Holtzfloyte 8. Ein Bärpfeyff Ein Ventil Ein Tremulant |
Hauptwerk 1. Praestant 8 2. Quintatön 8 3. Gedackt 4 4. Trompete 8 5. Waldpfeife 2 6. Cimbel (Terzcimbel) 7. Mixtur 5fach 8. Oktave 4 |
Hauptwerk 1. Praestant 8 2. Quintatön 16 3. Gemshorn 8 4. Trompete 8 5. Waldflöte 2 6. Sesquialtera 7. Mixtur 3fach 8. Oktave 4 |
Hauptwerk 1. Quintatön 8 (Kupfer) 2. Praetnat 8 (75% Zinn) 3. Trompete 8 (50% Zinn) 4. Gedackt 4 (25% Zinn) 5. oktave 4 (75% Zinn) 6. Waldflöte 2 (75% Zinn) 7. Cimbel 3fach (75% Zinn) 8. Mixtur 5fach (75% Zinn) |
Posatiff 1. Ein Praestant 2. Ein Nasat 3. Ein Waltpfeiff 4. Ein Holtzpfeiff 5. Ein Trumpett 6. Ein Zinke 7. Ein Cimbell |
Brustwerk 1. Gedackt 8 2. Holzflöte 4 3. Oktav 2 4. Rohrflöte 1⅓ 5. Cimbel (Quint-Cimbel) 6. Regal 8 |
Brustwerk 1. Gedackt 8 2. Gedackt 4 3. Oktav 4 4. Rohrflöte 1⅓ 5. Mixtur 3fach 6. Regal 8 |
Brustwerk 1. Gedackt 8 (25% Zinn) 2. Salizional 8 3. Messing Regal 8 4. Holzflöte 4 (Eichenholz) 5. Oktave 2 (75% Zinn) 6. Rohrflöte 1⅓ (25% Zinn) 7. Scharf3fach (75% Zinn) |
Zum Pedall 1. EinBassunen-Baß 2. Ein Cornett-Baß 3. Ein Gemshorenfloyt 4. Ein Bordaunen-Baß 5. Ein Trumpeten-Baß |
Pedal wie 1595 |
Pedal 1. Bordun 16 2. Posaune 16 3. Trompete 8 4. Trompete 4 5. Feldflöte 2 |
Pedal 1. Bordun 16 (Kupfer) 2. Posaune 16 (Kupfer) 3. Trompete 8 (Kupfer) 4. Cornett 2 (50% Zinn) 5. Gemshornflöte 1 (50% Zinn) Tremolo |
1935 hatte die Orgel eine mechanische Traktur und stand einen Ton über Normalton. In der Tiefe hatte sie ein im Manual gebrochene, im Pedal verkürzte Oktave. Die Rohrwerke hatten Schnarrwerktyp. Disposition, Mensuren und Material der Pfeifen folgte der Empfehlung von Mahrenholz.[3]
Literatur
- Enno Eilers: Die Heldenorgel. - Lemgo 1933. - 18 L 9230
- Vera Lüpkes, Rainer Homburg: Die Schwalbennestorgel. - In: Jutta Prieur (Hg.): wie Engel Gottes. 700 Jahre St. Marien in Lemgo. Bielefeld 2006. - ZXKU
- Eckehard Deichsel, Koos van de Linde, Vera Püpkes: Die Schwalbennestorgen in St. Marien / Lemgo. Detmold 2010, S. 13. (Lippische Kulturlandschaften ; 15). - ZXKU 111
- Arno Paduch und Vera Lüpkes: Musik an St. Marien zu Lemgo. - In: St. Marien zu Lemgo : Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde. Hg. von Gerhard Kuebart, Matthias Altevogt und Michael Bischoff. - Bielefeld : Verlag für Regionalgeschichte, 2020, S. 199-212. - ZXKU 117
Weblinks
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Quelle: Paduch / Lüpkes 2020.
14.03.2024 angelegt